Philosophical

승려와 철학자 - 유전학자, 선(禪)과 행복을 설하다

Kant 2007. 7. 25. 09:54

©  DIE ZEIT, 19.07.2007 Nr. 30

Der Mönch als Philosoph

Von Uwe Jean Heuser

Matthieu Ricard war Genforscher und ist Übersetzer des Dalai Lama.
Nun hat er über das Glück geschrieben.


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Matthieu Ricard, zweiter Vorsteher
des tibetischen Kloster Shechen in Nepal
und Übersetzer des Dalai Lama
© Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images


Hoher Besuch steht ins Haus: Jetzt kommt der Dalai Lama nach Deutschland. In ihm sehen noch mehr Bürger ein Vorbild als im Papst. Das liegt vielleicht daran, dass der sympathische Tibeter ein geschundenes Volk repräsentiert. Vor allem aber scheint er für viele Menschen zu verkörpern, was er predigt und was sie suchen: einen Weg zum Glück. Da trifft es sich, dass Matthieu Ricards Buch Glück nun auf Deutsch erscheint. Denn der Franzose, der zum buddhistischen Mönch wurde, ist Übersetzer des Dalai Lama und vertritt ihn im Austausch mit der Wissenschaft. Er ist der lebende Beweis dafür, dass die Kinder des Westens auf dem Weg nach Osten zur inneren Zufriedenheit finden können. Auch er strahlt diese heitere Ruhe aus, auch er wirkt ausgeglichen und vor allem: selbstgesteuert.

Ricard war ein junger Genforscher in Paris, bevor er sich einem buddhistischen Meister in Darjeeling anschloss und schließlich in einem nepalesischen Kloster zu wirken begann. Viele Jahre war er für den Westen unsichtbar – bis er eine Diskussion mit seinem Vater, dem Philosophen Jean-François Revel, unter dem Titel Der Mönch und der Philosoph veröffentlichte. Nun ist er noch prominenter geworden – angelsächsische Medien erkoren ihn zum glücklichsten Menschen der Welt. Im Life & Mind Institute in den USA untersuchen Neurowissenschaftler, Psychologen und Buddhisten gemeinsam das innere Befinden. Ihren Gehirnmessungen zufolge verstärkt die Meditation die Aktivität vor allem in den Bereichen, wo innere Gelassenheit und Freude erzeugt werden. Meditationserfahrene Menschen liegen demnach weit vorn, und Ricard ist noch einmal eine Klasse für sich. Er findet das Etikett, der Glücklichste von allen zu sein, »lustig und ein bisschen traurig zugleich. Denn zu Hause kenne ich viele, die in einem besseren Zustand sind.« Gleichwohl nutzt er die Prominenz, um seine Botschaft bekannt zu machen: die weltliche, wissenschaftlich verstandene Variante des Buddhismus.

»Wow, du bist ja ein netter Kerl geworden. Und kein Verrückter!«

Die meisten Menschen, sagt Ricard, verwendeten unendlich viel Energie darauf, dem Glück nachzujagen, indem sie Karriere machten, schöne Sachen kauften, ihre Freizeit optimierten. Doch sie unternähmen so gut wie nichts, um sich innerlich zu verändern, um ihr Wohlbefinden unabhängig von all den äußeren Einflüssen, die sich nicht steuern lassen, zu vergrößern. Warum aber tun sie nichts? Nach Ricards Überzeugung glauben die Menschen im Westen, dass Unglück zum Leben gehöre und seine Auslöser nicht zu identifizieren, schon gar nicht zu verändern seien. Genau das sei falsch: Jeder habe die Möglichkeit zur »inneren Transformation«.

Einige buddhistische und hinduistische Gurus verkaufen ihre Lehren im Westen als Ware: Meditiere, um deine innere Nutzenbilanz zu verbessern. Es ist Ricard hoch anzurechnen, dass er mehr anstrebt und das auch so sagt. Menschen würden durch die Meditation lernen, die negativen Empfindungen, die sie fortwährend anflögen, abzuwehren oder aufzulösen, ja. Aber sie müssten dabei auch das größte aller Hindernisse auf diesem Weg wegräumen: das Ego. Das großgeschriebene »Ich« stehe der inneren Freiheit im Weg, weil es jeden Einfluss gewissermaßen persönlich nehme und dann entweder kurz entzückt sei oder aber leide und also dauerhaftem Wohlbefinden entgegenwirke. Und doch »ist das Selbst nur eine Idee«, eine mentale Konstruktion, die uns anfällig mache für innere Schmerzen.

Ricard mag seine Lehre nicht auf einem Markt des Seelenheils unter all die anderen Angebot einreihen. Vielmehr grenzt er sie etwa gegenüber der freudianischen Theorie ab: Der Buddhismus schaue auf die Formierung der Gedanken, nicht auf die vergangene Deformierung des Selbst. Auch lässt er die junge Bewegung der »positiven Psychologie« nicht ohne Weiteres gelten, die uns durch Kontemplationstraining optimistischer und ausgeglichener machen will und in England bereits in öffentlichen Schulen unterrichtet wird. Die Konzepte müssten der wissenschaftlichen Überprüfung standhalten, ob es den Kindern hinterher tatsächlich besser gehe, warnt Ricard übereifrige Glückslehrer. Nur mal eben unsere Gedanken verschönern, ohne uns nachhaltig zu verändern – das geht mit ihm nicht. Für den Mönch ist der Weg zum verbesserten Befinden auch der zum besseren Menschen, der zu seiner wahren Natur des Altruismus und des Mitgefühls findet. Die innere Transformation wird dann auch zur äußeren.

Versteht er denn, dass Menschen Angst haben vor den Kosten der Veränderung, weil sie beispielsweise Partnern und Freunden fremd werden könnten? Unfug, sagt der freundliche Mann mit erstaunlicher Vehemenz. Sein eigenes Leben sei reich an Abwechslung, er trage Verantwortung und sei der Welt nicht entrückt, auch wenn er mindestens zwei Monate des Jahres in seiner Einsiedelei mit Blick auf die Berge Nepals verbringe. Freunde von früher würden höchstens sagen: »Wow, du bist ja ein netter Kerl geworden. Und kein Verrückter!«

Er hat vieles aufgegeben und doch keinen Verlust erlitten

Im Buch und im Gespräch dient sich der Mönch selbst als Beispiel für einen, der vieles aufgab und doch keinen Verlust erlitt. Ricard stellt eine praktische Methode des Buddhismus in den Vordergrund, das Meditieren, dieses im Wortsinne »Sich-vertraut-Machen« mit den eigenen inneren Vorgängen. Aber er hat so auch seine spirituelle Erfüllung gefunden, wie im letzten Teil des Buches klar wird, der einer Predigt für »eine neue Art des Seins« nahekommt. Er lehnt nicht bloß die kantianische Verantwortungsethik ab, sondern ist auch schnell fertig mit abstrakten Prinzipien von Gut und Böse. »Geht es um die Grundidee der menschlichen Natur, kommt der Buddhismus zum Tragen.«

Auch ohne Religiosität könne man eine große Strecke zurücklegen, wirbt Ricard. Die Meditation sei für jedermann zugänglich und geradezu perfekt für westliche Agnostiker. »Wenn die Japaner ein neues Atomteilchen finden, ist es nicht ihres«, sagt er. Ebenso wenig seien die allgemeinen Erkenntnisse der Buddhisten nur ihnen vorbehalten. Ricard hält die Zeit für reif, um sie weiterzugeben. »Die erfreulichen Resultate der Neurowissenschaften« helfen ihm dabei wie der Zeitgeist. Freilich hält er nicht zurück mit seiner Kritik an vielen Meditationszentren: Gute Angebote herauszufiltern sei nicht leicht – und so überlegt er, ob er seinem Buch, indem er einige Übungen beschreibt, eine kleine Meditationsschule folgen lässt.

Der Dalai Lama gibt gerne zu, dass er des Öfteren die innere Balance verloren hat. Und Matthieu Ricard steht ihm da nicht nach. Einmal ist er wütend geworden, als ein tibetischer Freund aus Spaß Mehl auf die Tastatur seines ersten und nagelneuen Laptops kippte. Als der Freund sah, wie Ricard wütend wurde, sagte er: »Ein Moment der Wut kann Jahre der Geduld zerstören.«

Dem Leser geht es mit diesem Buch eines überzeugten und überzeugenden Mannes durchaus ähnlich. Man ist befremdet, wenn eine Beweisführung zu absolut daherkommt und Ricard die Ambivalenzen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht gelten lässt. Gerade die Neurowissenschaft ist noch jung, und ihr Erkenntnisstand verändert sich schnell. Auch die Kritik an Kant und Rawls kommt allzu schnell zum Ziel. Doch das ändert nichts daran: Wer als skeptischer Europäer verstehen will, wie der buddhistische Weg zur inneren Heiterkeit aussieht und ob darin für ihn ein Gewinn liegen könnte, wer die Verbindungen ziehen will zur Psychologie, der sollte sich mit diesem Mann auseinandersetzen. Er sollte nur nicht vergessen: Der Autor ist Wissenschaftler und Missionar zugleich.

Matthieu Ricard: Glück
Aus dem Englischen von Christine Bendner; Nymphenburger in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, 2007; 300 S., 19,90 €


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