Philosophical

칸트가 부담스런 중국?

Kant 2008. 5. 9. 15:41
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Deutsch-chinesischer Dialog

Kommt uns bloß nicht mit Kant

Von Mark Siemons, Peking

28. April 2008 Von Tibet war an diesem denkwürdigen Nachmittag an der Peking-Universität nicht die Rede. Aber die in den letzten Wochen dramatisch verschärften Empfindlichkeiten zwischen China und dem Westen schwangen in jeder einzelnen Formulierung mit, als sich deutsche und chinesische Philosophen darüber austauschten, was „Aufklärung“ für sie bedeutet. Es traten die Wahrnehmungsdifferenzen hervor, die den politischen Streit zusätzlich komplizieren - wobei die Konfliktlinien bisweilen alle Erwartung unterliefen: Die Deutschen kamen mit Kant, die Chinesen konterten mit Thomas Mann.

Forschungsministerin Annette Schavan, deren Besuch der Anlass der Zusammenkunft war, erläuterte, weshalb das Thema für sie an diesem Ort wichtig ist: Im Gefolge der Aufklärung habe der Wechsel von der absolutistischen zur demokratischen Herrschaft den Menschen als Zweck an sich in den Mittelpunkt gestellt. Als symbolische Geste schenkte sie der Peking-Universität ein Kant-Porträt von Horst Janssen. Dass im Moment der Übergabe ein verpoppter Schuhplattler vom Band ertönte, brauchte nicht als Perfidie interpretiert zu werden; es war in einer Gesellschaft, in der die gegenseitige Abgrenzung der Stile noch nicht ganz so präzise ist, wohl einfach als Zeichen des Wohlwollens gemeint.

Die über sich selbst unaufgeklärte Aufklärung

Einen solchen Zustand, in dem die „Unterschiede zwischen den Dingen unscharf und die Entwicklungsmöglichkeiten vieldeutig sind“, stellte der Pekinger Kant-Forscher Han Shuifa dann in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, in denen er eine Parabel des antiken chinesischen Philosophen Zhuangzi auslegte. Die mythische Figur Ungestalt trifft da auf zwei schon wesentlich ausdifferenziertere Freunde, die ihm einen Gefallen tun wollen und sich sagen: „Alle Leute haben sieben Löcher zum Sehen, Hören, Essen und Atmen. Ungestalt hat keins. Wir wollen ihm ein paar Löcher bohren.“ Also bohren sie ihm jeden Tag ein Loch, und am siebten Tag, so endet die Parabel, „starb Ungestalt“. Für Han Shuifa ist dieser Hilfsversuch Sinnbild eines über sich selbst nicht aufgeklärten Aufklärungsbegriffs, der eine für alle in gleicher Weise gültige Vernunft annimmt und keine Unterschiede duldet. Der Mensch werde dabei zum bloßen Objekt der Vernunft und deren Manipulationen.

Han ließ keinen Zweifel daran, dass er dabei an China dachte, dem die „glorreiche Aufklärung aus dem Westen schon unvergleichliches Leid zugefügt“ habe. Mit Foucault empfahl er, dass sich die Aufklärung statt dessen zu Kritik und Selbstkritik weiterentwickle.

Kein europäischer Exklusivanspruch

Die Vorträge nahmen nicht direkt aufeinander Bezug, aber das Thema „Differenz“ war in die Argumentation der Deutschen schon eingebaut. Der universelle Anspruch der Vernunft vertrage sich durchaus mit der Verschiedenheit der Menschen, sagte der Kölner Romanist Andreas Kablitz mit Aristoteles; die „Freiheit“ des Toleranzgebots wollte er gerade als Verzicht auf Determinationen verstanden wissen. Der Tübinger Philosoph Otfried Höffe, der in seinem Buch „Demokratie im Zeitalter der Globalisierung“ die Idee einer „föderalen, subsidiären Weltrepublik“ entwickelt hatte, sah die Allgemeingültigkeit der aufklärerischen Forderung, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, auch darin zum Ausdruck gebracht, dass Europa keinen Exklusivanspruch auf sie erheben dürfe.

Während die Deutschen also eine Universalisierbarkeit des Verschiedenen voraussetzten, beharrten die Chinesen auf einer Verschiedenheit der Universalien. Wie Han Shuifa sprach auch der Germanist Huang Liaoyu von einer spezifisch chinesischen Aufklärung. Als Kronzeugen rief er Dr. Ting-fu auf, einen ständig kichernden Chinesen, der eine winzige Nebenrolle in Thomas Manns „Zauberberg“ spielt. Bei einer okkultistischen Sitzung fasste er als Einziger „den gesunden Gedanken, das Deckenlicht einzuschalten, so dass alsbald das Zimmer in Klarheit lag“. Für Huang ist in diesem deutschen Chinesenbild tatsächlich etwas Typisches ausgesprochen: die Diesseitigkeit des konfuzianischen Chinesen. Auf der einen Seite verbinde ihn diese mit dem Humanisten Settembrini im Roman und der westlichen Aufklärung im Allgemeinen, auf der anderen Seite werde er um ihretwillen auch beargwöhnt, weil er unfähig zu transzendenten Gedanken und zur Abstraktion schlechthin sei.

Wille vor Intellekt

Die Entkonfuzianisierungsbewegungen des letzten Jahrhunderts hätten dieser konfuzianischen Aufgeklärtheit dann noch neue Akzente hinzugefügt. Huang nannte unter anderem zwei, die er der „institutionalisierten marxistischen Aufklärung“ zuschrieb: eine Betrachtung der Geschichte „ohne Sentimentalität und moralische Aufgeregtheit“ und einen Sinn für den Primat des Willens, dem gegenüber der Intellekt nur als Dienstmädchen in Betracht komme. Mit diesem geistigen Rüstzeug seien die kapitalistisch gewordenen Chinesen davon überzeugt, dass der Überbau von der Basis abhänge „und dass mit der rasanten Wirtschaftsentwicklung auch zivilisatorische, politische und moralische Fortschritte gemacht werden können“.

So mündete Huangs in subtilem Deutsch vorgetragene Betrachtung ins Resümee: „Der konfuzianische Chinese der Gegenwart ist zufrieden mit der Welt und mit sich selbst, wie er es lange nicht mehr war. Aber die Welt ist unzufrieden mit ihm. Darunter leidet er schon ein bisschen.“ Verstehen könne er es indessen nicht: Sofern er schon ins „kapitalistische Weltsystem“ integriert sei, wirke er mit seiner Diesseitigkeit doch entscheidend am „Werk der europäischen Aufklärung“ mit und schade niemandem.

Kulturrelativismus und Universalismus

Bei aller Ironie äußerte sich da eine unter Chinesen heute tatsächlich weitverbreitete Ratlosigkeit, was „der Westen“ überhaupt von ihnen wolle; die Kritik an der Verletzung von Menschenrechten wird dabei oft gar nicht erst zum Nennwert genommen, sondern für eine bloß ideologische Verschleierung anderer Interessen gehalten. So stieß auch an diesem Nachmittag der Wille, alle Einzelnen, wo auch immer sie leben, zum Gebrauch der Vernunft zu befreien, auf die Erklärung, dass die Selbstbestimmung des Einzelnen mit der Anerkennung der Verschiedenheit seines kulturellen Eingebundenseins beginne. Die politisch-kulturelle Bedingtheit der eigenen Sprecherrolle mag in der Tat ein blinder Fleck des westlichen Universalismus sein; die Immunisierung gegen Kritik durch „Kultur“ ist es auf der anderen Seite allerdings nicht minder. Der gegenseitigen Aufklärung bleibt noch einiges zu tun.



Text: F.A.Z.
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa


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